Zeit ist für die Stadt, die Tausende Flüchtlinge und Asylbewerber unterbringen muss, ein knappes Gut. In höchster Eile sucht und überplant die Verwaltung Standorte für Unterkünfte – oft zum Ärger von Nachbarn. Viele Anwohner kritisierten das Vorgehen.
Groß-Buchholz. Etwa am Milanweg, wo unter anderem noch nicht feststeht, wie viele Menschen in die Notunterkunft einziehen werden. Noch in diesem Jahr sollen dort Leichtbauhallen entstehen. Ärger ist auch am Dorfmarkhof programmiert, wo die Bauarbeiten für Flüchtlingswohnungen mit einem Paukenschlag begannen: Um Platz zu schaffen, wurden zahlreiche Bäume gefällt.
Auch die Bauflächen an Nußriede und Nikolaas-Tinbergen-Weg waren einst mit Buschwerk und Bäumchen bewachsen. „Alles weg, in einer Nacht- und Nebelaktion“, beklagte der Linke-Bezirksratsherr Karsten Plotzki in der jüngsten Sitzung des Bezirksrats Buchholz-Kleefeld. Die Naturschutzbelange seien nicht ausreichend berücksichtigt worden, auch Umweltverbände wie der BUND seien nicht eingebunden gewesen, sagte Plotzki. „Bei einem kommunalen Projekt darf man schnell abholzen, bei einem privaten Vorhaben wie am Schneverdinger Weg aber nicht”, kritisierte er. Plotzki spielte auf den Bürgerdialog im vergangenen Jahr an, bei dem der Konzern Hochtief für ein Wohnprojekt unter anderem Umweltbelange und Anwohnerkritik zu berücksichtigen hatte. Aus den Besucherreihen bekam der Linke viel Applaus. Belgin Zaman (SPD) konterte erbost, dass man kaum Bäume gegen Menschen abwägen könne. „Außerdem sind alle Standorte ohnehin für die Bebauung vorgesehen.“ Die Stadtverwaltung begründete die Rodungen damit, dass diese vor der Brutzeit erledigt sein müssen.
Am Milanweg sollen in wenigen Wochen die Vorbereitungen zur Installation mehrerer Leichtbauhallen starten. Eine Halle könnte je nach Modell gut 40 Bewohner aufnehmen, sagte Stadtbezirksmanagerin Kathrin Rembecki. Hinzu kämen Hallen, die Platz für Speisesaal, Wäscherei sowie für Sozialarbeiter böten. Wie groß die Anlage wird, weiß die Stadt noch nicht. „Das müsste doch aber schon längst feststehen“, kritisierte eine Anwohnerin. „Wir planen das noch“, entgegnete Marc Schalow, städtischer Bereichsleiter für Stadterneuerung und Wohnen sowie Koordinator für die Flüchtlingsunterbringung. Etwa 150 bis 200 Menschen könnten dort unterkommen. Eine Frau, die ihren Garten direkt neben dem geplanten Grundstück der Unterkunft hat, fragte nach Entschädigungen – „wenn man wegen der Flüchtlinge keinen Nachfolger findet, der den Garten pachtet“. Es gebe keine Nachweise, dass an irgendeinem Standort von Flüchtlingsunterkünften die angrenzenden Grundstücke an Wert verloren hätten, antwortete Rembecki.
Mehrere der neuen Unterkünfte liegen im und um den Roderbruch. „Wird denn dort die Integrationsfähigkeit nicht überstrapaziert?“, wollte eine Bürgerin wissen. Und ob Kitas, Schulen, Ärzte und Sozialarbeiter auf die neuen Flüchtlinge eingestellt seien. „Wir haben jetzt in den bestehenden zwei Einrichtungen am Annabad und im ehemaligen Oststadtkrankenhaus rund 100 Kinder unter 17 Jahren“, sagte Bezirksbürgermeister Henning Hofmann. Viele Schulpflichtige gingen derzeit in Sprachlernklassen an der Grundschule Gartenheimstraße in Bothfeld. Im eigenen Stadtbezirk gebe es also noch Kapazitäten und mit dem Verein Stadtteilgespräch zudem ein breites Netzwerk an Helfern im Roderbruch, betonte Hofmann.
Schalow rechnete vor, womit sein Team zu tun hat. Derzeit seien rund 5000 Flüchtlinge und Asylbewerber von der Stadt untergebracht worden. Allein für den Zeitraum von Januar bis Ende April dieses Jahres müsse Hannover mit weiteren 6000 Menschen rechnen. „Das ist vom Land angekündigt worden“, sagte Schalow. Zeit für ausgedehnte Bürgerdialoge und die Suche nach alternativen Standorten, so scheint es, bleibt der Verwaltung dabei nicht. Sie soll sich aber dennoch überlegen, wie sie die Anwohner in die Gestaltung der Standorte einbezieht – das forderte die rot-grüne Bezirksratsmehrheit. Die Linke und die CDU lehnten den Antrag mit dem Verweis ab, dass es schon zu spät für eine Bürgerbeteiligung sei.
Im Stadtbezirk sind feste Unterkünfte am Nikolaas-Tinbergen-Weg (80 Plätze), an der Nußriede (90 Plätze), am Dorfmarkhof (bis zu 90 Plätze) und an der Lathusenstraße (rund 70 Plätze) geplant. Mitte April eröffnet die Stadt eine Anlage aus Fertigteilen an der Feodor-Lynen-Straße (110 Plätze), ähnliche Anlagen entstehen am Osterfelddamm (bis 170 Plätze) und an der Podbielskistraße/Ecke Corinthstraße (Größe steht noch nicht fest). Baustart für die meisten Unterkünfte ist noch in diesem Jahr.
Quelle: HAZ – Groß-Buchholz/Kleefeld Kaum noch Zeit für Bürgerdialoge
Artikel veröffentlicht: Dienstag, 08.03.2016 21:06 Uhr
Artikel aktualisiert: Freitag, 11.03.2016 02:15 Uhr